Smart Home – Digitalisierung der Energiewende

Inga-Kristin Grosser

“My home is my castle” stand für Edward Coke, einem englischen Juristen und Politiker des 16. Jahrhunderts, ganz klar fest. Die eigenen vier Wände empfinden wir auch heute noch, 400 Jahre später, als Schutzraum für unsere Privatsphäre.

Durch die zunehmende Digitalisierung unseres Lebens entdeckt jedoch eine stetig wachsende Anzahl von Haushalten den Nutzen von Smart Homes und öffnet somit diesen privaten Raum. Oft als „Internet der Dinge“ bezeichnet, überwachen diese Geräte die Aktivitäten der Bewohner und steuern beispielsweise ihren Stromverbrauch selbst, wie „Nest“, ein „smartes“ Thermostat aus dem Google-Imperium, das entsprechend der Temperaturvorlieben eigenständig die Wohntemperatur regelt. Oder sie erlauben den Blick in den Kühlschrank mittels Smartphone – auch wenn man gar nicht zu Hause ist.

Die Idee des computergesteuerten Domizils ist nicht neu. Das Science-Fiction-Genre verarbeitete seine Vision des intelligenten Hauses in Filmen wie “Des Teufels Saat”, von 1977 nach einer Geschichte von Dean R. Koontz. Die künstliche Intelligenz “Proteus”, die mit einem integrierten neuronalen Netz ausgestattet ist, übernimmt die Kontrolle über das computergesteuerte Haus seines Schöpfers und verändert durch seine eigenständigen und tiefgreifenden Entscheidungen das Mensch-Maschine-Verhältnis. Vom Replikator bei Star Trek über Texte von J.G. Ballard bis hin zu Stanislav Lem existieren vielerlei Vorstellungen intelligenter Maschinen, die uns den Alltag erleichtern.

In der heutigen Zeit wird unter einem „Smart Home“ ein nach innen und außen vernetztes, intelligentes und mit Sensoren ausgestattetes Zuhause verstanden. Die Verknüpfung von Haustechnik, Haushalts- sowie Unterhaltungselektronikgeräten und Telekommunikation ermöglicht eine Kommunikation der Geräte untereinander und mit externen Dienstleistern via Internet. Dadurch können sich die Geräte bei Bedarf selbstständig regeln oder von außerhalb gesteuert werden.

Der Umsatz dieses Marktes beträgt aktuell laut einer Statista-Prognose 697,3 Millionen Euro in Deutschland und 41,6 Millionen Euro in Österreich. Bis 2020 wird mit jährlichen Umsatzwachstumsraten von rund 37 Prozent in beiden Ländern gerechnet, so dass im Jahr 2018 bereits 1,8 Millionen Haushalte in Deutschland smart vernetzt sein könnten. Das weltweite Ranking führen derzeit Japan und die USA an. Letztere liegen mit geschätzten 7,3 Millionen Euro Umsatz an der Spitze. [1]

Der zentrale Gedanke, der intelligenten Wohnungen und Häusern zu Grunde liegt, ist neben der effizienteren Gestaltung der Energienutzung eine Erhöhung der Wohn- und Lebensqualität. Als Voraussetzung dafür gibt der Mensch seine Entscheidungsautonomie allerdings ein Stück weit an eine Maschine ab und sendet Teile seiner Gewohnheiten und Vorlieben als Datenpakete über das World Wide Web. Er tauscht also Anonymität gegen Transparenz und muss darauf hoffen, dass diese Informationen nur zu seinem Vorteil verwendet werden. Darüber hinaus ist auch die Datensicherheit gegenüber Dritten ein wichtiger Aspekt.

Nicht bei allen Anbietern von Smart Home-Lösungen steht die Sicherheit ihrer angebotenen Produkte an erster Stelle – Sicherheitsvorkehrungen werden aufgrund von mangelndem Expertenwissen nicht getroffen oder aus Kostengründen minimiert. Zudem wird der Käufer meist nicht ausreichend auf die Risiken und die zu treffenden Maßnahmen zum Schutz seiner Privatsphäre hingewiesen.

Die Architektur beschäftigt sich im Grunde seit jeher mit der effizienten Energienutzung in Wohnräumen. Die Frage, wie wir leben wollen, ist dabei aber ebenso von zentraler Bedeutung. Aktuell werden automatisierte Entscheidungen als adäquateste Lösung angesehen, um den Energieverbrauch optimal regeln zu können. Dem Bewohner wird in dieser Betrachtungsweise die passive Rolle zugedacht. Zu komplex und aufwändig wäre die Aufgabe für den Menschen, zu überwachen, wann gerade ein günstiger Moment wäre, um die Temperatur der Tiefkühltruhe abzusenken oder die Waschmaschine zu starten. In unserer hektischen Welt mit ewiger Zeitknappheit ohne Zutun Energie und Geld sparen – das hört sich in diesem Zusammenhang doch verlockend an!

Der deutsche Bauingenieur und Architekt Prof. Werner Sobek forscht seit Jahren an der Nachhaltigkeit im Wohnbau. Er lehrt an der Universität Stuttgart seine Grundsätze Gebäude zu entwickeln, die hohen Nutzerkomfort und ein ausgezeichnetes energetisches Verhalten gewährleisten. Als Mittel zur Zielerreichung sieht er ein zentrales Energiemanagement, das Funktionen automatisch steuert [2] – nicht das System nimmt in seinem Konzept die intelligente Rolle ein, sondern der Bewohner, der über eine prädiktive Steuerung (das heißt Luftfeuchte, Temperatur, etc. können anhand eines dynamischen Modells und Eingabewerten vorausschauend berechnet werden) entsprechend seiner Vorlieben das Wohnraumklima gestaltet. Seine Vision hat Sobek bereits mehrfach umgesetzt: Das im Jahr 2000 errichtete, viergeschossige Gebäude “R 128” in Stuttgart wurde als zukunftsweisendes Nullenergiehaus gefeiert. [3] Es kommt ohne Schalter, Türgriffe und Armaturen aus. Alle Bewegungs- und Steuerungsvorgänge werden per Stimme oder berührungslosen Sensoren gesteuert. Das computergesteuerte Energiemanagementsystem lässt sich per Telefon oder Computer von außerhalb steuern.

In einem Interview mit dem Architektur-Magazin “Baumeister” im Dezember 2015 spricht der Architekt über die Vorteile dieser Wohnform: [4] neben der Erhöhung des Wohnkomforts und der Einsparung von Energiekosten sieht er die verbesserte Kontrolle von außen durch den Nutzer als Pluspunkt: „Ist der Herd wirklich abgeschaltet und das Garagentor auch richtig geschlossen?“. Dass Bewohner sich solche Fragen durch Fernzugriff damit selbst beantworten können, trägt seiner Meinung nach zu einem subjektiven Sicherheitsempfinden bei.

Für den Online-Journalisten Dirk Baranek sind solche Funktionalitäten Komfortsysteme mit Fun-Faktor, die dem eigentlichen Begriff des Smart Homes nicht gerecht werden. Für Baranek stellen intelligent vernetzte Häuser und Wohnungen eines von drei Werkzeugen dar, um die Herausforderungen des Klimawandels zu meistern. Auf der Internet-Konferenz re:publica 2016 in Berlin spricht er in seinem Vortrag von der „elektrifizierten Gesellschaft“ und postuliert eine Dreifaltigkeit der Energierevolution: Ein Bund aus Smart Grid, Smart Home und Smart Meter, die den Umstieg in der Energieversorgung auf erneuerbare Quellen wie Wind- und Sonnenkraft möglich machen sollen. Kohle- und Atomkraftwerke liefern uns konstant auch zu Spitzenverbrauchszeiten zuverlässig Strom. Ein Ausstieg aus diesem Versorgungskonzept würde bedeuten, den Strom zu einem Zeitpunkt zu konsumieren, wenn dieser gerade verfügbar ist. Jene beabsichtige Verschiebung des Stromverbrauchs kann leichter durch eine eigenständige Entscheidung von Geräten realisiert werden. Etwa 25 Prozent des elektrischen Bedarfs eines Haushaltes könnte laut einer von Baranek zitierten Studie über einen Tag verschoben werden.

Als „Smart Grids“ werden intelligente Netze für die Stromversorgung bezeichnet, die eine bedarfsgerechte und effiziente Verteilung von zentral und dezentral eingespeister Energie übernehmen. Diese Netze sollen durch die zeitnahe Kommunikation mit Netzkomponenten, Erzeugern, Verbrauchern und Speichern unsere elektrische Energie kosten- und energieeffizient optimal managen. [5]

„Smart Meter“ sind intelligente, vernetzte Strom-, Wasser oder auch Gaszähler, die den tatsächlichen Verbrauch inklusive Zeitpunkt des Anschlussnutzers anzeigen und auch digital an Energieanbieter übermitteln können. Der Smart Meter ist Gegenstand eines aktuellen Gesetzesentwurf zur Digitalisierung der Energiewende in der Bundesrepublik Deutschland [6], laut dem in den nächsten Jahren die rund 43 Millionen vorhandenen Messstellen auf die intelligenten Stromzähler umgestellt werden sollen. Auch die kritische Frage des Datenschutzes ist Thema des Entwurfs. Abrechnungsdienstleister, Energieanbieter und andere Empfänger von Daten sollen nur den Teil der Information erhalten, der auch wirklich zur Bearbeitung nötig ist – das gläserne Heim und dessen Ausspionieren sollen so gar nicht erst möglich sein.

Die intelligenten Messgeräte im Haushalt sammeln Daten über ihre Verwender, die entweder in Echtzeit übertragen oder nur gespeichert werden, um später durch Auslesegeräte übernommen zu werden. Kommt es lediglich zur Speicherung der Daten ist das Sicherheitsrisiko im Gegensatz zur Datenübertragung in Echtzeit geringer. Fraglich ist aber, ob der durchschnittliche Benutzer ausreichend für die entstehende Sicherheitsproblematik sensibilisiert ist.

Geben wir unsere Privatsphäre in gute Hände?

Die Steuerung des smarten Eigenheims ist einfach: man nimmt die dazu gehörende Control- App oder Webseite, tippt die Log-In-Daten ein und kann damit schon die verbundenen Geräte, angefangen von der Haustür bis hin zur Lüftung, steuern. David Bryan und Daniel Crowley, Mitarbeiter der Firma Trustwave, haben Smart Home-Anwendungen getestet und herausgefunden, dass viele der Angebote keine sichere Authentifizierung zwischen Steuerungsgeräten und Smart Homes bieten. Bei einigen Produkten ist die Verwendung von Passwörtern darüber hinaus nicht verpflichtend, sodass nach außen hin komplett ungeschützte Systeme die Folge sein können. Andere Lösungen wiederum haben werkseingestellte Passwörter, die ohne größeren Aufwand im Internet auffindbar sind, wenn der Nutzer diese nach der Inbetriebnahme nicht ändert. [7]

Im Test zeigte sich ebenfalls, dass viele Anbieter keinen ausreichend professionellen Hintergrund oder tiefergehende Erfahrung im Bereich Sicherheitssysteme und Datensicherheit haben. Innovative und günstige Lösungen stammen nicht ausschließlich von etablierten Firmen, sondern auch von Start-Ups, die mit guten Ideen punkten, aber nur eingeschränkt über Ressourcen zur sofortigen Behebung von Sicherheitslücken verfügen.

Obwohl softwaretechnische Fehler von den Herstellern selbst stammen, geht die größte Gefahr meist von den Benutzern selbst aus, beispielsweise beim Aufsetzen der Geräte. Eine schwer verständliche Betriebsanleitung und daraus resultierende fehlende Einstellungen unter dem Aspekt der Datensicherheit können im besonderen Fall von Smart Home-Geräten fatale Auswirkungen auf die Privatsphäre der User haben.

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Die Produkte können dabei helfen, Eigentum zu schützen, indem sie Bilder von Überwachungskameras liefern oder die Nutzer über Bewegungen oder andere Aktivitäten innerhalb des Wohnraumes in ihrer Abwesenheit informieren. Diese detaillierten Informationen können von Kriminellen aber auch gegen die Besitzer verwendet werden. In einem bekannten Fall „hackte“ eine Bande das Online-Überwachungssystem, um ein Haus auszuspähen und die Besitzer auszurauben.

Die weltweite Vernetzung und die Möglichkeit der Fernsteuerung von Geräten bieten bisher ungeahnte Möglichkeiten. Man sollte sich deshalb ein genaues Bild darüber machen, was man erreichen möchte. Komfortlösungen oder solche für Energieeinsparung bergen unterschiedliche Risiken und erfordern meist Vorkenntnisse zum Thema Technik und Sicherheit.

Es ist ein verführerischer Gedanke sich zurücklehnen, während einem die Arbeit von einer intelligenten Maschine abgenommen wird, die viel effizienter handelt, als man es selbst je könnte. Doch möchten wir wirklich die Entscheidungsautonomie aus der Hand geben? Der Beitrag zu einem schonenden Umgang mit unseren Ressourcen ist wichtig, keine Frage. Und wir sollten auch die Annehmlichkeiten der modernen Technik nutzen können, um uns in unserem Heim wohl zu fühlen. Doch im Kern geht es nicht nur um Bedenken bezüglich des Datenschutzes. Es geht um des Menschen ureigenes Merkmal, eigenständig Entschlüsse zu fassen. Autonome Systeme werden zukünftig mehr Entscheidungen treffen. Ob diese akzeptiert oder abgeändert werden, bleibt weiterhin die Aufgabe des Nutzers – des Menschen. Unsere Aufgabe ist es, zu hinterfragen, ob rational auch optimal für uns ist und ob manchmal nicht irrational emotional richtiger ist.

Quellen

[1] https://de.statista.com/outlook/279/137/smart-home/deutschland#market-revenue (15.07.2016)
[2] https://www.homify.de/ideenbuecher/18503/ein-ganz-besonderes-haus (15.07.2016)
[3]  http://www.wernersobek.de/projekte/material-de/glas/r128/ (15.07.2016)
[4] https://www.connected-comfort.de/im-gespraech-architekt-werner-sobek-zu-den-vorteilen-von-smart-home/ (15.07.2016)
[5] https://re-publica.com/16/session/electrified-society-energiewende (15.07.2016)
[6] https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/E/entwurf-eines-gesetzes-zur-digitalisierung-der-energiewende,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf (15.07.2016)
[7] http://www.forbes.com/sites/kashmirhill/2013/07/26/smart-homes-hack/#7ffab7e846a5 (15.07. 2016)
[8] https://www.synack.com/2015/03/14/home-automation-benchmarking-results/ (15.07.2016)

Inga-Kristin GrosserSmart Home – Digitalisierung der Energiewende

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