Wahlwerbung – von der Straße weg, into the Web!?

Manfred Pamminger

Stell dir vor: Es ist Wahl, und alle wissen Bescheid!

Kaum jemand, der vor einer anstehenden Wahl aus dem Haus geht, kommt an den Werbeplakaten der teilnehmenden Parteien und Personen vorbei. Straßen, Kreuzungen, ja ganze Häuserfassaden werden mit Plakaten überschwemmt, um die der breiten Masse zumeist ohnehin bekannten SpitzenkandidatInnen omnipräsent zu machen. Bei der Gemeinderatswahl in Wien im Oktober 2015 wurden etwa über 12.000 Plakate aufgestellt und dabei ein Budget von mehr als zwei Millionen Euro aufgewendet. [1]

Einer der primären Beweggründe für diese regelrechte Überflutung liegt in der auf diesem Weg generierbaren Reichweite – immerhin betrug diese beispielsweise im Jahr 1999, in welchem Nationalratswahlen stattfanden, stolze 87 %. Andererseits belegen Umfragen aus dem gleichen Jahr, dass die Plakate nur sehr bedingt unmittelbare Wirkung zeigten, da lediglich 3 % der befragten Personen einen wesentlichen und direkten Einfluss auf ihr Wahlverhalten bemerkten. [2] Somit wird deutlich, dass die Hauptaufgabe von Plakaten darin besteht, in das Unterbewusstsein der Wählerschaft einzudringen. Die Rolle dieses bestimmten Werbemittels ist auf die Verbreitung von Slogans und Botschaften in konzentrierter Form festzumachen, da hiermit ein weiterer entscheidender Faktor hinzukommt: Es gibt kein Entrinnen! Plakatinformationen werden auch unwillkürlich aufgenommen – und zwar von einer Vielzahl von potentiellen WählerInnen unterschiedlichster sozialer Hintergründe, weil schlichtweg eine überwiegende Mehrheit öffentliche Plätze regelmäßig besucht. Außerdem signalisieren Plakate der Bevölkerung, dass Parteien produktiv sind und arbeiten. Es zeugt in gewisser Weise von Selbstbewusstsein, welche signalisiert: „Wir sind wieder da, und wir wissen, dass ihr das bemerkt“. [3]

Stell dir vor: Es ist Wahl, und niemand geht hin!

Ganz so dramatisch ist es um die Partizipationsbereitschaft in Österreich noch nicht bestellt! Dennoch liegt die Beteiligung an bundes- und landesweiten Wahlen in diesem Jahrzehnt durchgehend bei verbesserungswürdigen 60 % bis 81 % – mit einem enormen Ausreißer nach unten bei der EU-Wahl im Jahr 2014 mit 45,4 % abgegebener Stimmen. [4] Hierbei wird deutlich, dass die Information über eine bevorstehende Wahl noch nicht gleichbedeutend mit dem Gang zur Urne ist. „No na ned“, wird sich der geschätzte Leser und die geübte Leserin jetzt denken. Dennoch kann es hilfreich sein, sich solche banal anmutenden Aussagen vor Augen zu führen, um sich der (Nicht-)Funktion von tausenden Wahlplakaten auf öffentlichen Plätzen bewusst zu werden. Denn da es sich im Regelfall nicht um bloß eine einzige Partei handelt, welche diese Methode wählt, kann dies schnell überfordernd und mühsam bis hin zu ärgerlich wirken, sodass die Aufstellung von Plakaten letztlich gar kontraproduktiv für die Interessen der Partei sein kann. Laut dem Sozialforscher Günther Ogris werden die Plakate der politischen Organisation, welche man ablehnt, ohnehin stärker wahrgenommen, wie diverse Graffitizeichnungen oder Verunglimpfungen der abgebildeten Personen auf den Plakaten regelmäßig zeigen. [5] Verhilft man hier gar der Konkurrenz zu höheren Wahlgewinnen? Schießt man sich mit Wahlplakaten in der Öffentlichkeit „ins eigene Knie“?

Stell dir vor: Es ist Wahl, und niemand weiß Bescheid!

Wie wäre es wohl, wenn plötzlich und eventuell sogar ohne Vorankündigung die politischen Werbeplakate nicht mehr vorhanden wären? Wäre das „Wahlgeheimnis“ dann im wahrsten Sinne des Wortes zu nehmen – eine Wahl, von der nur wenige Personen überhaupt wissen? Weit gefehlt, denn es würden schlicht andere Medien herangezogen werden – wie es bereits mehrmals in der jüngeren Geschichte passiert ist! Im Jahr 2008 nannten bei einer Umfrage 86 % der Personen das Fernsehen als primäre Informationsquelle. Die Reichweite des Fernsehens lag schon vor der Jahrtausendwende bei 89 % – zum Vergleich betrug dieser Wert im Jahr 1962 lediglich 23 %. [6] Eine ähnliche Entwicklung macht derzeit vermutlich ebenso das Web durch, da die Anzahl der im Internet aktiven Personen, welche sich in diesem Medium über Politik informieren, bereits 2006 fast 80 % betrug – mit dem Hintergrund, dass zu diesem Zeitpunkt rund 66 % der österreichischen Bevölkerung die grundsätzliche Möglichkeit der Internetnutzung hatten. [7] [8]

All diese Fakten zeigen: Die BürgerInnen finden über kurz oder lang immer einen Weg, sich über gewisse Themen und Ereignisse zu informieren. Und vor allem: Bei oben genannten Nachrichtenmittel hat das Individuum zumindest einigermaßen die Möglichkeit, den Konsum der Botschaft selbst zu wählen bzw. diesen zu umgehen, indem er oder sie einfach ausschaltet. Die Augen in der Öffentlichkeit auszuschalten (sprich: zu schließen) ist hingegen nicht ganz so gesund! Das Web soll daher – im Gegensatz zur herkömmlichen Werbung – nicht als Ergänzung, sehr wohl aber als Substitut fungieren, um Wahlplakate mittelbar per Verbot von der Straße zu verbannen!

Stell dir vor: Es ist Wahl, und jeder geht hin!

Diese Vision ist für den typischen (konservativen) österreichischen Staatsbürger zuallererst gleich einmal viel zu radikal und einschneidend – so viel Klischeehaftigkeit darf der eigenen Bevölkerung bei aller Liebe durchaus zugestanden werden. Es ist jedoch nicht so, dass dies ein revolutionäres Konzept ist, welches einem Hirngespinst dieses Autors entsprungen ist. In der brasilianischen Metropole Sao Paulo – ihres Zeichen die größte Stadt Südamerikas – sind öffentliche Werbeplakate jeglicher Art bereits seit Beginn des Jahres 2010 verboten. Diese Maßnahme wurde von der ansässigen Bevölkerung sehr positiv aufgenommen, da sich das Stadtbild als Gesamtes und insbesondere die Sauberkeit deutlich zu ihrem Vorteil gewandelt hat. Die Millionenstadt wird im Gegensatz zu früher nicht mehr als vorwiegend kommerzielles Objekt betrachtet. Zudem wird betont, dass die Werbeindustrie nach anfänglichen Protesten sehr rasch neue Mittel und Wege gefunden hat, ihre Botschaften anzubringen, ohne dabei sichtbaren Müll zu verursachen. [9] In Österreich selbst haben die beiden Künstler Steinbrener und Dempf mittels ihres temporären Projektes im Jahr 2005 mit dem Namen „Delete!“ sämtliche sichtbaren Werbeflächen, Piktogramme oder auch Firmenlogos in einem kleinen Gebiet in Wien mit knallgelben Zetteln verdeckt, um auf die Fülle von Plakaten und Schildern aufmerksam zu machen. [10]

Doch wie könnte die alternative Wahlwerbung im Web aussehen? Die Chancen sind vielfältig, um nicht zu sagen unbegrenzt. Die Marketing- und PR-Abteilungen der Parteien und PolitikerInnen dürfen ihre kreativsten Ideen hervorzaubern – wobei das Interessante an der Werbung im Internet ist, dass auch bisher vernachlässigte Konzepte und Wege eingeschlagen werden können, während bei analoger Reklame der Rahmen aufgrund der jahrzehntelangen Bearbeitung des Feldes schon weitestgehend ausgereizt ist. Die Abnutzung des sterilen Plakates findet gewissermaßen bereits in dem Augenblick statt, in dem der Text bzw. das Bild betrachtet wurde, da bei ausschließlich analogen Wahlplakaten keine weiterführende Informationsübergabe möglich ist. Das Web mit seinen interaktiven Gelegenheiten kann je nach Bedarf viel tiefergreifendere Aspekte mit einbeziehen. Per einfachem Mausklick kann sich der / die BenutzerIn als eigenständiges, quasi emanzipiertes Wesen nun selbst einfach und schnell nach eigenem Gutdünken weiterinformieren. Im Gegensatz dazu muss bei gegebenem Interesse auf Straßenplakaten zumeist erst wieder das Web als Hilfsmittel herangezogen werden, was oftmals umständlich ist und den komplikationslosen Informationsfluss unterbricht. Durch reine Werbung im Web wird die Mitteilungsbereitstellung somit nicht nur benutzerfreundlicher, sondern auch für die Parteien attraktiver, wenn der Weg zu weiteren Informationen möglichst kurz ist. Wenn das keine Win-Win-Situation ist, was dann!?

Exemplarisch soll hier eine kurze Vision dargestellt werden, wie Online-Wahlwerbung zukünftig umgesetzt werden könnte, damit sowohl die Politik als auch die Bevölkerung eine Verbesserung des derzeitigen Ist-Zustandes erfährt:

Auf einem Plakat (online wohlgemerkt!) ist der / die aktuelle SpitzenkandidatIn der Partei „XYZÖ“ zu sehen – auf einer in Österreich gut bekannten Plattform. Klickt der User auf die Person, so wird der / die PolitikerIn quasi „lebendig“ und spricht per Videoaufnahme zum Menschen vor dem Bildschirm. Jedoch nicht einen eingelernten Standardsatz, sondern durch eine Vielzahl vorher aufgenommener Antworten auf unterschiedlichste Fragen zu allen Lebensbereichen, welche der / die BenutzerIn eingeben kann und dann mittels Algorithmus zugeordnet werden. Somit bekommt der / die BürgerIn den Eindruck, direkt mit der Person sprechen zu können und sich ein umfassendes Bild zu deren Positionen machen zu können – und insbesondere auch Widersprüche oder gar Falschaussagen zu entdecken.

Doch es wird noch besser: Wenn wir dieses Szenario weiterspinnen und mehrere Personen unterschiedlicher Parteien gleichzeitig nebeneinander am Bildschirm aufscheinen lassen, entsteht plötzlich eine Diskussionssimulation, in welcher der / die BenutzerIn die Moderation inne hat, da er / sie ja die Auswahl der Themen völlig frei wählen kann. Dies wäre dann sogar bis zu einer ganzen „Elefantenrunde“ denkbar, wo dann einfach jede/r, der gerade Lust hat, Ingrid Thurner spielen darf – ohne sich mit Verbalattacken und gegenseitigen Unterbrechungen quälen zu müssen.

Na, wäre das nicht total spannend? Natürlich steckt ein enormer Arbeitsaufwand dahinter, aber gut platziert im Netz ist dies in der heutigen Ära für „jede/n“ auffindbar und könnte zudem die Wahlbeteiligung und das Politikinteresse generell enorm steigern. Denn …

… stell dir vor: Ein/e Politiker/in stellt sich dir vor!

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