Der Handel im Wandel

Christina Pillmair

Jeder kennt das vermutlich. Man informiert sich im Internet, liest Blogs, durchforstet Kundenbewertungen, vergleicht Angebote und kauft dann doch im nächstegelegenen Geschäft.

Nein? Vielleicht gehören Sie dann doch zu jenen, die sich zuvor von einem Fachberater im stationären Handel von allen Vorzüge des Produktes überzeugen lassen um dann im Online Shop das Produkt um die Hälfte billiger zu kaufen? Oder gehören Sie zu den Wenigen, die dem ursprünglichen Kanal treu bleiben? Eines ist jedoch klar, die Art und Weise wie sowohl Online als auch Offline gekauft, geshoppt und verglichen wird, erfährt seit geraumer Zeit eine drastische Wende.

Ob die Zukunft des Handels ausschließlich digital ist, ist fraglich und wohl eher mit nein zu beantworten. Sicher ist aber, dass es entscheidend sein wird, mit den aktuellen, digitalen Entwicklungen Schritt zu halten.

Vor Gründung der Internetgiganten Amazon und Ebay um 1990 wurden Waren vorwiegend über Kaufhäuser und Versandhandel bezogen. Man kaufte Waren persönlich im Einzelhandel um die Ecke und Ladeninhaber und Kunden kannten sich, das schaffte Vertrauen.

„Geschäfte sind Mittelalter, sie wurden nur gebaut, weil es damals kein Internet gab.“

Oliver Samwer

Die ersten Versandhandel wurden im alten Paris im Jahr 1865 gegründet und waren zumeist eine logische Weiterentwicklung des bereits existierenden Einzelhandels. Es war erstmals möglich, Kunden über die Stadtgrenzen hinaus zu beliefern. Nach dem zweiten Weltkrieg folgte der Boom der Versandhandel wie z.B. „Otto“ und durch das Wirtschaftswunder stieg die kundenseitige Nachfrage immens.

Das Prinzip, dem Kunden einen Mehrwert und Service von zu Hause aus zu bieten, gibt es schon über Jahrhunderte hinweg. Mithilfe des Webs und den Möglichkeiten der Digitalisierung, sind heutige Online Shops das Ergebnis vom Prinzip des herkömmlichen Versandhandels gepaart mit digitalen Technologien. „Geschäfte sind Mittelalter, sie wurden nur gebaut, weil es damals kein Internet gab.“ – Ein Zitat von Oliver Samwer, einer der bedeutendsten Einflussgrößen im Online Zeitalter und Gründer des Shopping Giganten Zalando. Er stellt dabei bedingungslos die Geschäftsmodelle klassisch stationärer Handelsgeschäfte in Frage und sollte man Samwer Glauben schenken, so liegt die Zukunft des Handels nur noch in der Online Welt ohne Offline Strukturen. Könnte er damit Recht haben? Wird es zukünftig ein Massensterben des Einzelhandels geben? Das Mutterunternehmen Rocket Internet hat mit seinen namhaften Marken wie Zalando, Delivery, Westwing und Co. zahlreiche aggressive Markteintritte gewagt und durch das schlichte Kopieren von Geschäftsmodellen hohe Marktanteile gewonnen, die nach Expertenmeinungen nicht ganz unumstritten sind. Das sukzessive Auslöschen von Konkurrenten und Samwers kompromissloses Vorgehen fördert, so sagt man, die Kannibalisierung des Online Handels. Die tektonische Verschiebung der Handelsbranche ist schon voll im Gange und sorgt dafür, dass sich die Anzahl an stationären Filialen mehr als halbiert und Standorte an Attraktivität verlieren.

Obwohl diese Meinung von vielen Fachleuten vertreten wird, gibt es auch Gegenwind. Als Beispiel dient einer der größten Online-Optiker in Europa, vormals rein auf Online-Handel spezialisiert. Das Unternehmen eröffnete in den letzten Jahren stationäre Filialen, um Kunden von Angesicht zu Angesicht begegnen zu können und um neben dem Verkauf auch Beratungen und Serviceleistungen anzubieten. Der Showroom bietet ein gesteigertes Kundenerlebnis und sorgt nachweislich für mehr Vertrauen bei den Konsumenten.

Die Strategie dahinter wirft jedoch die ein oder andere Frage auf. Werden Kunden vom Online Handel bewusst in die Irre geführt?  Zuerst wird das Kundenerlebnis im Online Shop durch die fehlenden Berührungspunkte mit dem Produkt vermindert, um dann als „neues“ Geschäftsmodell im Showroom mit einem gesteigerten Kundenerlebnis promotet zu werden.

Wie sollte die Zukunft des Handels gestaltet werden um für alle einen optimalen Zugang zu gewährleisten? Welche Technologie ermöglicht die Verschmelzung des Online – und Offline – Handels, sodass für niemanden ein Nachteil entsteht? Omni Channeling Konzepte könnten Abhilfe schaffen. Omni-Channel ist ein kanalübergreifender Ansatz, bei dem alle Informations- und Kaufentscheidungswege gesamtheitlich betrachtet werden, einschließlich digitaler und stationärer Kommunikationskanäle. Der Konsument hat zudem die Möglichkeit, auf das gesamte Angebot zugreifen zu können, unabhängig vom Vertriebsweg und wird als Weiterentwicklung von Cross Channeling Ansätzen gesehen. Eine Möglichkeit eine Brücke zwischen Online und Offline Kanal zu gestalten, wäre die “iBeacons Technologie”. So lässt sich der Kunde bereits bei der Bedienung mit dem Smartphone abholen und durch den Shop navigieren. Somit könnten unter anderem personalisierte Angebote auf Basis der Präferenzen des Kunden an diesen gesendet werden, oder man führt ihn mittels virtuellen Assistenten durch den Shop.

Eine bereits bestehende Alternative ist das Angebot eines “Click & Collect Service”, mit dessen Hilfe man aus dem Online Shop Produkte bestellt und im nächstgelegenen Geschäft abholt. Die große Herausforderung wird sein, das Einkaufserlebnis im Handel so zu verstärken, dass man die Online Welt nicht mehr wegdenken kann. Der Grundstein für ein erfolgreiches und gutes Omni-Channeling ist ein zentrales Verwaltungssystem, aus dem sich alle Kanäle steuern und speziell auf den Kunden anpassen lassen.

Die Mensch-Maschinen Kommunikation hat nun auch schon den Verkaufsraum erreicht und kompetente Mitarbeiter werden durch effiziente Serviceroboter abgelöst, die dafür Sorge tragen, dass die gewünschten Waren den schnellsten Weg zum Konsumenten finden. Die RFID-Technologie gepaart mit Robotik und Drohneneinsätzen ermöglicht es, dem Kunden schnelle Informationen, gefüllte Regale und straffe Lieferketten der Produkte zu bezahlbaren Preisen zu gewährleisten.

Amazon setzt seit Kurzem auf seinen neuen Dienst namens Instant Pickups, indem mittels Smartphone, Artikel des täglichen Bedarfs bestellt werden und zwei Minuten später diese auch schon bei eingerichteten Abholstationen bereitstehen. Das Interface Mensch-Mensch verschwindet hierbei völlig und eine App übernimmt die Rolle als Servicemitarbeiter, während der Mitarbeiter unter Zeitdruck den Hol- und Bringdienst übernimmt.

Eine schöne neue Welt? Die Auswirkungen, welche die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessschritten im Handel mit sich zieht, sind für die Arbeitswelt von heute nicht unerheblich. Einzelhandelsläden und Geschäfte können nur noch in Ballungsgebieten überleben und gleichzeitig stützt sich die Zukunft des Handels vorwiegend auf die Arbeitskraft durch Roboter und Drohnen, die schneller, effizienter und kostengünstiger arbeiten. Welche Rolle wird die menschliche Arbeitskraft bei den jüngsten Entwicklungen spielen? Es scheint so, als würden Online Shops zu Selbstläufern werden, die fast gänzlich ohne menschliche Arbeitskraft auskommen.

Dennoch ist die Zeit des stationären Handels nicht vorbei, ganz im Gegenteil. Es wird von Notwendigkeit sein, Strukturen zu öffnen und in den Online und Omni-Channel Vertrieb zu investieren um konkurrenzfähig zu bleiben. Sowohl steigende Fixkosten in Bezug auf Quadratmeter Ladenfläche, als auch sinkende Produktivität lassen hier keine andere Wahl als auf den Zug aufzuspringen.

Der Online Handel muss sich der Verschmelzung von Online und Offline widmen und seine Strukturen anpassen. Viele große Unternehmen wie Apple haben es bereits vorgelebt und Showrooms entwickelt, in denen das Erlebnis des Produktes in den Vordergrund rückt. Hier wird das Prinzip des Omni Channeling deutlich, wenn man sich Showrooms näher ansieht. Der Konsument hat die Möglichkeit das Produkt mit dem kompletten Funktionsumfang zu entdecken, ohne es gleich erwerben zu müssen.

Gestalter im Omni Channeling Konzept ist – im besten Fall – der Konsument. Digitalisierte, automatische und effiziente Techniken werden eingesetzt, um den Kunden bei seinem derzeitigen Schritt im Einkaufsprozess abzuholen und das Einkaufserlebnis persönlicher, individueller und effizienter zu gestalten und ihn in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen.  Für Händler auf der anderen Seite wird es eine große Herausforderung sein, die neuen Vertriebswege nahtlos in das Einkaufserlebnis zu implementieren. Beratungsfunktionen werden mithilfe von Online Bewertungssystemen an den Kunden ausgelagert und dieser übernimmt somit unbewusst die Rolle des Verkäufers. Weiters sollen Kunden das Design, ebenso wie die  Funktionalität von Produkten bestimmen. Konsumenten werden somit mehr in den Verkaufsprozess integriert,  identifizieren sich besser mit dem Produkt und Unternehmen profitieren von deren Kreativität. Der Kunde von heute ist aufgeklärt, informiert, flexibel und medienkompetent und ihm wird dadurch mehr Kontrolle und Selbstständigkeit zuteil.

Fazit ist, dass sich die Frage, ob der stationäre Handel ein Auslaufmodell ist, definitiv nicht stellt. Die Form des Offline Handels wird sich jedoch einer großen Veränderung unterziehen müssen. Um die Customer Journey im Omni-Channel so spannend und nutzbringend wie möglich zu gestalten, muss die Komplexität der Systeme auf ein Minimum reduziert werden und der Bruch zwischen Online und Offline verschwindet. Konsumenten haben unterschiedliche Bedürfnisse, welche von Händlern erkannt und berücksichtigt werden sollten, um das volle Potenzial des Einkaufserlebnisses ausschöpfen zu können. Unternehmen müssen den Schritt aus der Komfortzone wagen und sich neuen Möglichkeiten widmen, die Online und Offline Märkte bieten um zukünftig ihre Kunden bestmöglich bedienen zu können. Und dennoch sollte nicht ganz auf die gute alte Mensch-zu-Mensch Kommunikation vergessen werden.

Christina PillmairDer Handel im Wandel

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