Bewegte Bilder im Social Web

Laura Heinisch

Dass sich die Medienlandschaft im ständigen Wandel befindet, ist uns allen wohl bekannt. Immer mehr Menschen nutzen täglich das Internet und soziale Medien.

Immer mehr Menschen nutzen täglich das Internet und soziale Medien erlangen neben den „traditionellen“ einen immer höheren Stellenwert. Doch hier vollzieht sich nicht nur eine allgemeine Wende in Richtung des Webs, auch innerhalb der sozialen Netzwerke selbst werden Veränderungen sichtbar: Während YouTube sich bereits von Beginn an darauf spezialisiert hat, erscheinen nun auf ursprünglich eher foto- und textbasierten Netzwerken wie Facebook, Instagram und Twitter immer häufiger Videos auf der Bildfläche. Kaum jemand scrollt noch über seine Facebook-Startseite ohne dabei auf bewegte Bilder zu stoßen, sie haben sich bereits zum integralen Bestandteil von Onlineangeboten entwickelt. Doch warum ist das so? Hat sich diese Entwicklung vielleicht schon viel länger vorhersagen lassen? Und wie nutzen Unternehmen dieses Wissen?

Ein Wandel hin zum bewegten Bild, das uns mehr Informationen liefert, ist geschichtlich betrachtet nichts Neues. Walter Benjamin beschäftigte sich 1936 in seiner Abhandlung „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ mit unterschiedlichen Medien und ihrer Entwicklung. Auch wenn die Veröffentlichung mehr als 80 Jahre zurückliegt und dabei noch keine Rede vom Web sein konnte, bemerkte er schon damals Phänomene, die sich heute zu wiederholen scheinen: Die Reproduktion an
Informationen für eine breitere Masse wurde zunächst im Bereich der Schrift durch den Buchdruck ermöglicht. Im 20. Jahrhundert wurde durch den Offsetdruck auch für das Bild eine Möglichkeit der schnellen Verbreitung gefunden. In weiterer Folge eroberte schließlich der Film (später in Verbindung mit Ton) die Herzen der Menschen. Diese immer wiederkehrende Erweiterung der von uns produzierten Informationsangebote durch „neue“, komplexere Medienformate beruht auf dem Wunsch, technische und informative Effizienz zu steigern. Wir möchten kompliziertere Inhalte einfacher und schneller erhalten und verteilen können. Dies erklärt auch die rasante Entwicklung in den sozialen Medien: Trotz ihres kurzen Bestehens werden die Technologien laufend verbessert und der Content verändert sich: weniger lange Texte, dafür mehr bewegte Bilder.

Darüber hinaus erlauben uns diese technischen Neuerungen mehr Kontrolle über die Inhalte, an deren Erstellung sich nun jedermann beteiligen kann. Walter Benjamin bemerkte hierzu, dass jeder zum Fachmann werden und eine Expertise in Umlauf bringen kann, die sich vorher auf einige wenige Quellen konzentrierte.  Die Autorenschaft erfährt eine Ermächtigung, die die Hierarchie zwischen Produzent und Konsument immer stärker aufhebt. Auch dieses Phänomen ist uns nur zu gut bekannt. Jeder kann im Web Inhalte produzieren, wodurch die Grenzen zwischen Konsumenten und Produzenten, sowie Lesern und Autoren verschwimmen. Eine immer größer werdende „digitale Autorenschaft“ bestimmt die Form des Contents, dessen Wandlung nun mehr denn je von ihr abhängt.

„Damit ist die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum im Begriff, ihren grundsätzlichen Charakter zu verlieren“.

Walter Benjamin

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Wandlung zu Videos lässt sich in ihrer Grundstruktur finden. Walter Benjamin beschäftigte sich zu seiner Zeit sehr eingehend mit dem damals eher neuen Medium des Films. Die Menschen werden vor allen Dingen durch die „Lust am Schauen und am Erleben“ dazu motiviert, sich bewegte Bilder anzusehen. Und genau in diesem „Erleben“ steckt ein weiterer Schlüsselpunkt: Wir tendieren dazu, uns Dinge leichter vorzustellen und sich mit ihnen emotional verbinden zu können, wenn sie näher an unserer eigenen Realität sind. Im Wahrnehmungsprozess wird daher Neuartiges sowie gleichsam Gewohntes in einer Weise kombiniert, die uns mit Filmen oder Videos mitleben, mitspüren und mitfiebern lässt. Auch Unternehmen sind sich dieser Tatsache bewusst: Sie setzen sie gerade deshalb gerne ein, weil sie Aufmerksamkeit erregen, besser einzuprägen sind und dadurch einen größeren Einfluss auf die Seher beziehungsweise die Kaufkraft haben.

Auch wenn diese Parallelen zum frühen 20. Jahrhundert einen in sich zirkulierenden Wandel verdeutlichen, bemühen sich kommunikationswissenschaftliche Bestrebungen um eine
Hervorhebung der Individualität und Emergenz des Medienangebots im 21. Jahrhundert: Im Vergleich ist es umfangreicher und ausdifferenzierter als jedes Mediensystem zuvor und durchdringt zudem den Alltag der Menschen viel stärker. Bei der Fülle und Intensität an Gestalterinnen und Gestaltungsmöglichkeiten ist es kein Wunder, dass nicht nur neue soziale Netzwerke, Apps und Tools wie Gras im Frühling aus der Erde sprießen, sondern sich auch die Inhalte wandeln – und das sehr rasch.

Aus diesen Gründen hat sich auch für diesen Bereich ein darauf spezialisiertes Content-Marketing entwickelt, das versucht Trends einzufangen und sie gewinnbringend einzusetzen. Im Jahr 2016 hat sich die Anzahl der Video-Posts pro Person weltweit um 75 Prozent erhöht und natürlich lassen solche Entwicklungen nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Unternehmen darüber nachdenken, wie eigener Content in Form von Videos produziert und geteilt werden kann.

So historisch logisch wie sich der Wandel zum bewegten Bild herleiten lässt, so treffend ist die damalige Kritik an diesen Veränderungen auch heute noch. Sie setzen Prozesse in Gang, durch die „jeder zum Fachmann seiner eigenen – und sei es noch so geringen – Verrichtung“ wird, wie Benjamin sagt. Dies führt zu einer immer unüberschaubareren Menge an zum Teil unzuverlässiger oder unprofessioneller Information. Oft wird der Content nur um des Produzieren-Willens erstellt, was er wirklich beinhaltet, bleibt zweitrangig. Auch heute könnte man konstatieren, dass es relativ wenige, skeptische oder hinterfragende Beiträge, dafür aber eine große Menge an eher oberflächlicher und banaler Information gibt. Man kann dies bestens auf Youtube beobachten, wo alleine in einer Stunde 18.000 Stunden Videomaterial hochgeladen wird. Das meist geklickte Video eines Privatnutzers ist „Charlie bit my finger“, bei dem man 50 Sekunden bestaunen kann, wie ein Junge seinem älteren Bruder in den Finger beißt. Dies ist nur eines von Millionen Beispielen, die zeigen, dass bewegte Bilder – sehr zum Leidwesen Walter Benjamins – nicht immer auf skeptischen und hinterfragenden Beiträgen aufgebaut sind. Klicks oder Likes können mit Entertainment genauso, oder sogar viel leichter, gewonnen werden.

Wiederholt sich hier die mediengeschichtliche Nutzung? Liegt es quasi in der Natur des Menschen, sich nach immer mehr Informationen und komprimierten Inhalten zu sehnen, ohne dabei die kritische Auseinandersetzung zu suchen?

Auch wenn die beinahe ein Jahrhundert alte Kritik heute zum Teil noch genauso zutrifft, kann man die Videos unserer Zeit natürlich nicht einfach mit dem Begriff der Oberflächlichkeit abtun. Viele Nutzer und Firmen bemühen sich um kreative und innovative Inhalte, die andere begeistern. Die Tasty-Videos zum Beispiel erreichten durch die ideenreichen, schnellen und ansehnlichen Zusammenschnitte von Koch- und Backszenarien eine weltweite Community und konnten daraus ein Unternehmen gründen.

Gut gemachter Content wird also belohnt und man muss nicht allen Produzenten einen globalen Banalitäts-Vorwurf an den Kopf werfen. Und seien wir ehrlich: Videos können uns – unabhängig von der inhaltlichen Tiefe – begeistern, faszinieren, informieren, zu Tränen rühren und schaffen es all diese Emotionen in nur sehr kurzer Zeit auszulösen. Wir haben hier eine Freiheit gewonnen, die uns produzieren, kreieren und erstellen lässt und dies allein ist schon ein persönlicher und kultureller Gewinn. Und seien es nun künstlerische Meisterstücke, emotional Beliebtes oder banaler Schrott – so oder so wird dadurch der Content vielfältiger und trägt dazu bei, einen Diskurs über die Inhalte anzuregen.

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