Selfie – Into the Web

Marian Limberger

Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, warum Personen auf der ganzen Welt Fotos von sich machen und diese dann im Web veröffentlichen?

Betrachtet man die unterschiedlichen geschichtlichen Epochen und Völker, so findet man allerorts bildliche Selbst-Darstellungen.  An den Wänden der Grabkammern der ägyptischen Pharaonen im Tal der Könige wurden das Leben und die wichtigsten Ereignisse im Land zu Lebzeiten des jeweiligen Herrschers dargestellt.

Das ist schon ein wenig ähnlich wie die Chronologie eines Instagram-Verlaufs. Man kann die Entwicklung der Person über einen längeren Zeitraum beobachten und ihre persönlichen Vorlieben, Probleme und vieles mehr kennenlernen. Der Unterschied zur heutigen Zeit liegt wohl auch in der Schnelllebigkeit und Menge. Bilder, die heute gemacht, gepostet und geteilt werden, können innerhalb kurzer Zeit von beliebig vielen Personen betrachtet, geliked und kommentiert werden. Das bleibt auch nicht mehr, bedingt durch die schwierigeren Produktionsverhältnisse, auf „wichtige“ Ereignisse beschränkt, sondern auch Nebensächliches wird vielfach in großer Menge fotografiert und verteilt.

Unsere Vorfahren hatten natürlich ebenfalls den Drang sich auf Bildern zu verewigen oder auf Fotografien abbilden zu lassen. Für „besondere“ Fotos wurden dafür von den Fotografen bald erste Studios eingerichtet. Dort konnte die perfekte Kulisse erstellt werden, wie zum Beispiel ein gutbürgerlicher Salon oder auch eine romantische Stimmung für Hochzeitsfotos mit Blumenbouquets, um den oder die zu Fotografierenden in einer besonders schönen Umgebung zu zeigen, die sie sich in Wahrheit gar nicht leisten konnten.

Auch heute sind Selfies oft Bilder mit inszenierten Hintergründen oder Personen in besonderen Posen. Das bedeutet, dass die Authentizität sowohl früher als auch heute in Frage zu stellen ist.

Auf Grund der wirtschaftlichen Lage wanderten in den 1920er Jahren viele Europäer aus. Dieser Schritt war für jene, die hier keine Perspektive sahen und bereits verarmt waren, auch mit einem Aufgeben sämtlicher sozialer Beziehungen verbunden. Der Start im neuen Land war beschwerlich, doch natürlich wollte die Auswanderer-Familie nicht preisgeben, dass die Lebenssituation in der neuen Welt schwierig sei. Daher wurden Fotos an Plätzen und in Kleidung gemacht, die den Schein wahren sollten, dass es hier besser sei als zuvor in der alten Heimat.

Auch bei den Selfies von heute kann man immer wieder feststellen, dass der Schein mit dem Sein nicht übereinstimmt. Jugendliche präsentieren sich in teuren Klamotten und Accessoires, um Anerkennung in bestimmten Gruppen zu erhalten.

Einen Schritt weiter ging die argentinische Künstlerin Amalia Ulman. Im Rahmen eines Kunstprojekts gab sie sich auf Instagram als IT-Girl aus und konnte über mehrere Monate diesen Schein aufrechterhalten. Im letzten Schritt dachte sie öffentlich auf Instagram über eine Brust-OP nach und wollte darüber abstimmen lassen. Dann erst wurde für die 90.000 Follower die Wahrheit über die Inszenierung des gesamten Instagram-Auftritts preisgegeben. Dies zeigt wie eine Persönlichkeit durch Inszenierung von Selfies und Postings erschaffen werden kann.

Doch inwieweit erwarten wir beim Betrachten von Bildern überhaupt noch „Realität“ zu sehen?

Haben wir uns durch die beständige Inszenierung der uns vorgelegten Bilder nicht schon eine gewisse Erwartungshaltung zugelegt, dass Darstellungen einfach beschönigt werden müssen? Wir halten es durchaus für normal, dass auf den Bildern immer der gleiche Winkel und die gleiche Seite (leicht von links oben) gezeigt werden.

Der Kurzfilm „Selfie“ zeigt sehr anschaulich wie Selbstdarstellung die Realität beschönigen kann. Das verliebte Paar beim Städtetrip in Berlin… Anfangs sind die Fotos und Selfies, die der Mann aufnimmt noch „erträglich“, doch steigert sich die Selfie-Manie immer mehr, sodass „Sie“ zu guter Letzt gar nicht mehr begeistert ist. Und dennoch macht sie bis zum Schluss mit und lächelt in die Linse. Den Freunden wird so der perfekte Städte-Trip des verliebten Paars präsentiert.

Vermutlich sind die Motive, Bilder oder Selfies, immer noch die gleichen. Es geht uns allen darum, dass wir uns in einem positiven Licht präsentieren.

Einzig bei Umfragen, ob Personen sich Selfies von Anderen ansehen, schneiden Selfies sehr schlecht ab. Jeder macht Selfies, aber die von anderen Personen wollen wir nicht betrachten. Dies ist wohl eines der kuriosesten Paradoxa der digitalen Neuzeit.

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