Erfolgreiches Mobben im Internet – Alles nur Spaß – oder doch nicht?

Theresa Reichhard

„Wegen Peinlich-Video: Cybermobbing treibt Jungen (14) in den Tod“ lautet die Schlagzeile der Bild[1] – „Suizid nach Facebook-Terror: Mutter warnt“ berichtet die Kleine Zeitung[2] – „Stirb, jeder wäre glücklich darüber“ titelt N24[3] und zitiert zugleich die Aussage eines Users gegenüber der damals 14-jährigen Hannah Smith. Diese Schlagzeilen stehen stellvertretend für alle Cybermobbing-Opfer, die letztendlich keinen anderen Ausweg mehr sahen und Selbstmord begingen. Der Sprung zwischen Täter- und Opferrolle ist oftmals kleiner als gedacht, wie der virtuelle Alltag von Tim zeigt.

Tim ist 15. Tim ist cool. Tim liegt im Trend. Tim mobbt – im Internet.

06:30 Uhr      Der Wecker läutet – eindeutig zu früh! Vor dem Aufstehen macht Tim noch schnell einen Facebook-Check. Ey cool, neue Pics auf der Facebook-Seite „hot or not“[4]. Drei Likes für die Blondies, ein „Bist du hässlich!“-Kommentar für die Kleine mit den kurzen Haaren.

7:32 Uhr        Im Bus. Langeweile. Dank sei dem guten alten – ähm – neuen iPhone 6. Lisa aus der 2B schläft noch eine Runde. Tim nutzt die Gelegenheit und filmt sie dabei. „Schaut mal, die Lisa sabbert beim Schlafen.“ Schon ist das Video auf Facebook geteilt.

10:15 Uhr      Kurz vor der Pause vibriert sein Smartphone. WhatsApp-Chat der Klasse. Also der „coolen Gang“. Die drei Streber aus der ersten Reihe haben hier nichts verloren. „Große Pause im hinteren Schulhof!“ schreibt Max, in der Hoffnung, die drei kommen nicht auf dieselbe Idee.

12:45 Uhr      Glücklicherweise ist heute ein kurzer Tag. Während Tim auf den Bus wartet fertigt er schnell eine Fotomontage von Marie mit der App „Photo2Fun“ an. Saulustig, denkt sich Tim und schickt sie Marie: „Machst mir meine Hausaufgaben, sonst lad ich das Foto auf Instagram ;-)“

14:41 Uhr      Tims Smartphone klingelt. Neue Nachricht auf Facebook. „Schau mal, Lisa hat dir deine Aktion heute früh heimgezahlt! *haha*“ schreibt Flo und schickt Tim einen Screenshot mit. Darauf ist er beim Nasenbohren zu sehen. Blöde Kuh, ärgert sich Tim!

18:07 Uhr      „Wir trainieren heute in der Halle – Wetter schlecht! Bitte weitersagen, denen die kein WhatsApp haben. Euer Trainer“. Sicher nicht, denkt sich Tim. Selber schuld, wenn die noch kein Smartphone haben.

22:11 Uhr      Im Bett checkt Tim das letzte Mal für diesen Tag sein Smartphone. Nachricht von Max. „Schau dir diese Memme an!“ Der YouTube-Link zeigt Paul im Training, als er bei einem Foul zu Boden ging.

So oder so ähnlich könnte der Tagesablauf eines Mobbers, aber zugleich eines Gemobbten aussehen. Ein Klick hier, ein Kommentar da –  die Täter, häufig unwissend zugleich selbst Gemobbte, wissen oft nicht, welchen Schaden sie mit ihren virtuellen Taten anrichten können. Cybermobbing ist kein medienzeitalter-geprägtes Phänomen. Mobbing, abgeleitet vom englischen Verb to mob, bedeutet „belästigen, anpöbeln“. Der „Mob“ wird gleichgesetzt mit einer „aufgewiegelten Volksmenge […], einer Meute, Bande, etc.“[5] Das klassische Mobbing findet seinen Ursprung am Arbeitsplatz sowie am Schulhof und kann durch eine einzelne Person oder durch eine Gruppe gegen eine einzelne Person oder eine Gruppe gerichtet sein. Cybermobbing: Damit ist das Mobben ­– im Englischen Bullying ­– in der virtuellen Welt/im Web 2.0 gemeint. Das Perfide an Cybermobbing: Es kann überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit stattfinden. Die Täter bleiben häufig anonym. Die Reaktionen der Opfer werden nicht gesehen und so verschwimmt die Grenze zwischen Spaß und ernsthaftem Verletzen der Gefühle des Gegenübers[6].

Cybermobbing ist nicht gleich Cybermobbing. Verschiedene Ausprägungsgrade und Tatvorgänge werden in der Literatur beschrieben. So spricht man von direktem und indirektem Cybermobbing. Beim Harassment, zu Deutsch Belästigung, landen die Nachrichten des Täters direkt im Posteingang der persönlichen Kommunikationskanäle des Opfers, ebenso bei Cyber-Stalking. Hinzu kommt hier eine Bedrohung seitens des Täters und / oder permanente virtuelle Verfolgung des Opfers. Beim Cyber-Stalking wird mittels technischer Kommunikationsmittel das Opfer (heimlich) verfolgt oder auch terrorisiert. Die Täter versenden bedrohliche E-Mails an ihre Opfer, wobei auch schon einmal eine fremde Identität angenommen wird, um vorerst das Vertrauen und womöglich persönliche Daten der Opfer über die virtuelle Welt zu gewinnen. Indirektes Cyber-Mobbing unterscheidet vier Arten: Denigration beinhaltet das Verbreiten von unwahren oder gemeinen Nachrichten. Dabei werden diese Fehlinformationen online veröffentlicht oder via private Kanäle an andere Personen versandt. Das Opfer weiß meist (lange) nichts von diesen Nachrichten. Hierzu gehören auch Fotomontagen. Gibt sich der Täter als Opfer aus, dann spricht man von Impersonation, der zweiten Art von indirektem Mobbing. Entweder der Täter erstellt ein „Fake-Profil“, das heißt er kopiert zum Beispiel das Facebook-Profil des Opfers oder er weiß Benutzername und Passwort des Opfers und benützt dies ohne sein Wissen. Unter Outing wird schließlich die Verbreitung von privaten, peinlichen und / oder sensiblen Nachrichten des Opfers verstanden. Beispielsweise werden der E-Mail-Verkehr oder private Fotos veröffentlicht. Trickery meint einen ähnlichen Umstand. Hier wird dem Opfer der wahre Empfängerkreis der Nachricht nicht oder unzureichend mitgeteilt. So passiert es, dass private Aussagen, die nur für eine bestimmte Person bestimmt gewesen wären, eine größere Anzahl an Empfänger erreichen. Exclusion meint das Ausgrenzen des Opfers in Social Communities, Online-Spielen oder Instant-Messenger-Programmen. Es bedeutet auch, dass man als „Freund“ nicht geadded wird.[7]

Nun stellt sich die Frage, ob denn alle gegen eine Person oder eine Gruppe negativ gerichteten Aussagen gleichzusetzen sind mit Cybermobbing. Zum einen begleiten uns in der virtuellen Welt Shitstorms im alltäglichen Leben, vor denen – themenbezogen – unsereiner manchmal auch nicht zurückschreckt. Als passive Social-Media-Nutzerin reizte auch mich schon das ein oder andere Mal ein „böser“ Kommentar unter diversen Postings. Durch die computervermittelte Kommunikation können weder Gestik noch Mimik des Gegenübers beurteilt werden und so kann es vorkommen, dass die Message auf den ersten Blick anders interpretiert wird, als vom Absender gewollt wurde. Und ohne Emojis steht die Welt ohnehin nicht mehr lange. J

Zurück zu Tim und seinen Freunden. Das Web 2.0 – das Mitmach-Web[8] – bedeutet Unterhaltung. Unterhaltung, die wir selbst mitproduzieren, und wie in der realen Welt definiert „Spaß“ jede/r für sich. Gerade Kinder und Jugendliche empfinden das Liken, Teilen und Posten als spaßige Nebenbeschäftigung, die ja jede/r macht. Es gehört zum Alltag einfach dazu, ohne sich viele Gedanken über mögliche Auswirkungen zu machen. Dass das Internet nicht vergisst und aus einem kleinen Scherz unter Schulfreunden schnell bitterer Ernst werden kann, ist vielen nicht bewusst. Cybermobbing und die daraus resultierenden Bullycides (Suizid aufgrund von Bullying) sind ernstzunehmende Tatsachen, denen bereits in frühen Lebensphasen entgegengesteuert werden muss – Stichwort Medienkompetenz-Vermittlung an Schulen. Keine Maßnahme kann beim Eintreten der Probleme mehr helfen als Prävention und Aufklärungsunterricht durch gesetzlich festgelegte Lehrpläne. Mit dem Fortschreiten moderner Informations- und Kommunikationstechnologien wird die virtuelle Kommunikation und somit auch Cybermobbing uns in unserem Handeln und Tun begleiten und zählt daher zu einer ständigen Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Wie wir damit umgehen möchten, ist uns letztendlich nicht immer selbst überlassen, denn Täter- und Opferrolle verschwimmen.

Quellen:

[1] http://www.bild.de/news/ausland/cyber-mobbing/junge-bringt-sich-nach-cyber-mobbing-um-36824236.bild.html
[2] http://www.kleinezeitung.at/s/chronik/oesterreich/4049960/Cyber-Mobbing_Suizid-nach-FacebookTerror_Mutter-warnt
[3] http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Panorama/d/3304942/askfm-cybermobbing-hannah-smith-selbstmord.html
[4] https://www.facebook.com/IhrHuebschenKommtAufDieSeite/timeline
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Mobbing
[6] https://www.saferinternet.at/cyber-mobbing/
[7] http://www.cybermobbing-hilfe.de/#was-ist-cybermobbing, https://www.saferinternet.at/cyber-mobbing/
[8] http://www.oreilly.com/pub/a/web2/archive/what-is-web-20.html, https://www.saferinternet.at/uploads/tx_simaterials/Web_2.0_Das_Mitmach-Internet_sicher_und_verantwortungsvoll_nutzen.pdf

 

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